Zwischen Klimakrise und politischer Realität

Parallel zum Frühlingsbeginn starten praktisch alle Parteien und Verbände mit dem Abstimmungskampf zum CO2-Gesetz, über welches wir am 13. Juni abstimmen. Besonders aggressiv sind dabei die Parolen der Nein-Komitees. Sie warnen davor, dass offenbar alle – vom Mittelstand über die Autofahrerinnen bis hin zum Gewerbe – bei einer Annahme tief in die Tasche greifen müssten. Man fühlt sich etwas zurückversetzt in die Abstimmungsphase zur Energiestrategie 2050 vor vier Jahren, als ähnliche Argumente genannt wurden. Einen spannenden Unterschied zu damals gibt es jedoch: während bei der Energiestrategie ein grosser Teil der Wirtschaftsverbände gegen das Gesetz mobilisierte, sind die aktuellen Referendumskomitees weniger breit abgestützt. Die economiesuisse empfiehlt ein Ja, der Gewerbeverband beschloss die Stimmfreigabe. Neben dem Hauseigentümerverband und der SVP kämpft insbesondere noch das fossile Kapital gegen das Gesetz, namentlich die Autobranche sowie die Öl und Gasindustrie. Dass diese Millionen in die Kampagne investieren, erstaunt nicht: Ihre Profite werden durch Klimaschutz (auch durch liberalen) direkt gefährdet. Bemerkenswert ist die Breite der Allianz jedoch auf der Seite der Befürworterinnen. Mit der FDP («Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft») und der SP («Klimagerechtigkeit») werfen die beiden tonangebenden Parteien von rechts und links einiges in die Waagschale. Wer genau hinschaut, muss früher oder später merken, dass wohl einige ziemlich über ihren eigenen Schatten springen mussten. Sind es diejenigen, die offenbar für die Wettbewerbsfähigkeit einstehen oder jene, welche für Klimagerechtigkeit kämpfen?

Bei der Frage, ob das CO2-Gesetz eine adäquate Antwort auf die Klimakrise liefert, kommt die nüchterne Wissenschaft auf eine einfache Antwort: Nein. Anfangs April wurden auf Mauna Loa (Hawaii) zum ersten Mal seit Messbeginn mehr als 420 ppm CO2-Konzentration gemessen. Als die Klimafrage in den 70er-Jahren auf die Bühne gehoben wurde, lag dieser Wert noch um 330 ppm. Aktuell diskutiert die Klimawissenschaft intensiv darüber, ob das so wichtige Klimaziel von 1.5°C überhaupt noch erreicht werden könne. Für dieses Ziel müsste die Schweiz deutlich vor 2050 auf netto null Treibhausgasemissionen kommen, eigentlich bis 2030. Gemäss CO2-Gesetz sollen diese Emissionen im Inland im laufenden Jahrzehnt gerade mal um 37.5% sinken.

Vor diesem wissenschaftlichen Hintergrund stellt sich die Frage, ob das Narrativ der Klimagerechtigkeit, mit welchem die SP wirbt, für diese Abstimmung gerechtfertigt ist. Es gäbe natürlich genügend Argumente dagegen, aber hier kommen wir zum Dilemma der sogenannten «Realpolitik»: die aktuellen Mehrheits- und Machtverhältnisse sorgen für eine riesige Kluft zwischen der wissenschaftlichen Notwendigkeit für ambitionierten Klimaschutz und der politischen Realität.

Wie sollen wir damit umgehen? Auf der einen Seite droht der Klimakollaps innerhalb der nächsten Jahrzehnte. Auf der anderen Seite scheinen wir sogar im vergleichsweise progressiven Zürcher Kantonsrat gezwungen zu sein, ungenügende Kompromisse abzuschliessen. Klar ist: Es bleiben uns nur noch wenige Jahre, um die Art und Weise zu leben und zu produzieren grundsätzlich zu ändern. Nach der Abstimmung zum CO2-Gesetz, welche vielen als Gradmesser in der Schweizer Bevölkerung dienen wird, müssen wir als Linke in die Offensive.

Wie das genau geschehen soll, werden wir an der MV der SP6 vom 3. Mai diskutieren. Wir versuchen uns einen Überblick darüber zu verschaffen, welche konkreten Projekte anstehen. Anhand alternativer Projekte diskutieren wir über das Dilemma von Klimapolitik in den rechtsbürgerlich dominierten Räten und über die Rolle der SP für dringend notwendigen Aufbruch.