«Die Züri City-Card ist ein pragmatischer Vorschlag des Stadtrats.»

Am 15. Mai stimmt die Stadt Zürich darüber ab, ob der Stadtrat die Einführung einer Züri City-Card konkret ausarbeiten darf. SP-Ständerat Daniel Jositsch und die Zürcher SP-Nationalrätin Min Li Marti erklären im Gespräch, warum immer mehr Städte eine City-Card einführen, um die Schwächsten in unserer Gesellschaft zu unterstützen.

Frau Marti, was ist eigentlich die Züri City-Card?

Min Li Marti: Die City-Card ist ein Ausweis für alle Zürcherinnen und Zürcher, also für alle, die in Zürich wohnen. Immer mehr Städte führen städtische Ausweise ein, damit alle am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können und niemand von städtischen Dienstleistungen ausgeschlossen wird.

Warum braucht es denn eine City-Card?

Min Li Marti: Die City-Card ist für alle Zürcherinnen und Zürcher ein Gewinn, weil sie bestehende Karten wie Badi-Abos oder Theaterpass vereint und den Zugang zu städtischen Online-Dienstleistungen vereinfacht. Sie ist aber auch eine pragmatische Lösung, um die teilweise prekären Lebensbedingungen von Sans-Papiers in der Stadt Zürich zu verbessern – es geht um den vereinfachten Zugang zur medizinischen Grundversorgung, zu Hilfsangeboten oder zur Kinderbetreuung während der Arbeit.

 

Daniel Jositsch: Man muss sich das einmal vorstellen: Rund 10’000 Menschen, die seit Jahren in Zürich leben und systemrelevante Arbeit verrichten – Betagte pflegen, Kinder betreuen oder in der Reinigung arbeiten – leben in ständiger Angst als Sans-Papiers entdeckt zu werden und ihre gesamte Existenz zu verlieren. Die City-Card ist ein wichtiger Beitrag, damit diese Menschen in Würde leben können.

Die Züri City-Card ist eine pragmatische Lösung, um für die Betroffenen den Zugang zur medizinischen Grundversorgung zu vereinfachen.

Nationalrätin Min Li Marti.

Gibt es denn Vorbilder für die City-Card?

Min Li Marti: Ja, bereits seit vielen Jahren gibt es in Städten wie New York, Oakland oder New Haven eine City-Card. Und auch in Europa versuchen verschiedene Städte in Spanien, Holland und Frankreich eine City-Card einzuführen, damit niemand durch die Maschen fällt. Als offene und progressive Stadt ist es wichtig, dass jetzt auch Zürich einen Schritt macht. Es wäre sehr schade, wenn die ideologische Opposition der SVP zu einem Stillstand führt.

Sie sprechen das Referendum der SVP an.

Min Li Marti: Es ist schade, dass die SVP diese pragmatische Lösung fundamental bekämpft. Schliesslich wird die City-Card von Vertreter:innen fast aller Zürcher Parteien und dem Stadtrat unterstützt.

Die SVP behauptet, dass die City-Card rechtswidrig sei…

Daniel Jositsch: Da muss ich widersprechen. Ich finde es vorbildlich, wie umsichtig Stadtpräsidentin Corine Mauch die Ausarbeitung der City-Card in den letzten Jahren vorangetrieben hat. Erstens hat sie die rechtlichen Aspekte mit mehreren Gutachten genau überprüfen lassen. Die rechtliche Klärung zeigt, dass die Stadt eine City-Card einführen darf.

Und zweitens?

Daniel Jositsch: Ich finde es richtig, dass der Stadtrat bei diesem wichtigen Geschäft keinen Schnellschuss macht, sondern sich für die konkrete Ausarbeitung Zeit lässt. Darüber stimmt die Zürcher Bevölkerung nun ab: Soll der Stadtrat die Ausarbeitung der City-Card weiter vorantreiben und konkretisieren dürfen? Ich finde Ja. Wenn der Bevölkerung nicht gefällt, was am Ende der Pilotphase rauskommt, können die Zürcher:innen nochmals darüber abstimmen.

In der gedruckten Ausgabe wurde nicht das korrekte Statement von Stadtpräsidentin Corine Mauch verwendet. Wir entschuldigen uns für diesen Fehler.
In der gedruckten Ausgabe wurde nicht das korrekte Statement von Stadtpräsidentin Corine Mauch verwendet. Wir entschuldigen uns für diesen Fehler.

Viele Betroffene haben grosse Hoffnungen in dieses Projekt. Sind Sie zufrieden mit der Vorlage?

Min Li Marti: Die von Daniel Jositsch angesprochenen Gutachten zeigen, dass die Stadt einen grossen Spielraum hat, um die Situation von Sans-Papiers zu verbessern. Es gibt in der Politik selten perfekte Lösungen. Aber Fortschritt passiert nur, wenn man sich traut, pragmatische Lösungen zu suchen und Herausforderungen anzupacken, statt sie vor sich her zu schieben. Das ist dem Stadtrat bei der City-Card gelungen.

Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass eigentlich der Kanton oder Bund die Situation von Sans-Papiers verbessern müsste.

Daniel Jositsch: Das ist aus meiner Sicht ein nicht besonders ehrliches Argument. Natürlich bin auch ich der Meinung, dass es sinnvoll wäre, wenn es auch auf übergeordneter Ebene pragmatische Vorschläge gäbe – die Realität sieht aber leider anders aus: Dass die Stadt Zürich als grösste Schweizer Stadt andere Herausforderungen hat als Solothurn oder Muttenz wird leider im Bundeshaus häufig ausgeblendet. Darum ist es wichtig, dass die Zürcher Stimmberechtigten mit einem Ja zur Züri City-Card ermöglichen, dass der Stadtrat pragmatisch weiterarbeiten kann.