Covid-19 Pflegende brauchen dringend eine neue Arbeitswelt

Die WHO hat das Jahr 2020 zum «Year oft the Nurse» ausgerufen. Anlass dafür war der 200. Geburtstag von Florence Nightingale, der Begründerin der westlichen Krankenpflege. Dass dies nun eine ganz neue Bedeutung bekommt, hat so wohl niemand erwartet.

Ich arbeite zurzeit auf einer Bettenstation für Patient*innen, welche mit dem Coronavirus infiziert sind. Momentan ist die Situation tragbar. Ob und wann der grosse Ansturm kommen wird, ist unklar. Diese Ungewissheit ist unangenehm. Die Grundstimmung im Team ist deshalb etwas angespannt. Ich weiss nicht was mich erwartet, bevor die nächste Schicht beginnt.
Die Situation ist für alle aussergewöhnlich. Es muss im Moment sehr viel organisiert und geplant werden und täglich gibt es neue Anweisungen und Richtlinien, an welche man den Arbeitsalltag flexibel anpassen muss.

Sie sehen zum Beispiel nicht, wenn ich lächle. Dies klingt vielleicht belanglos, ist jedoch gerade in der Pflege eine wichtige zwischenmenschliche Geste.

Die Situation bringt aber auch positive Aspekte mit sich. Die Zusammenarbeit im Team, aber auch unter den verschiedenen Schnittstellen im Spital, empfinde ich als besser denn je. Es ist ein «gemeinsames Arbeiten», es wird viel Rücksicht untereinander genommen und alle zeigen sich hilfsbereit. Dies macht mir Mut und stimmt mich optimistisch, dass wir diese Situation gemeinsam meistern können.
Um uns selber vor einer Ansteckung zu schützen, müssen wir strenge Isolationsmassnahmen einhalten. Im ganzen Spital gilt für alle Mitarbeiter*innen während der ganzen Schicht Maskenpflicht. Bevor wir ein Zimmer betreten, in welchem eine infizierte Patient*in hospitalisiert ist, müssen wir uns nochmals speziell einkleiden. Dazu gehören die Gesichtsmaske, eine sehr straffe Schutzbrille, ein Schutzkittel und Handschuhe. Dabei ist es auch sehr wichtig, dass man diese Kleidung korrekt anund auszieht, um nicht in Berührung mit einer kontaminierten Stelle zu kommen. Ausserdem ist das ganze Prozedere sehr zeitaufwändig und es ist unangenehm, diese Schutzkleidung länger zu tragen. Ein weiterer Aspekt diesbezüglich, den ich persönlich schwierig finde, ist, dass die Patient*innen mich kaum erkennen. Sie sehen zum Beispiel nicht, wenn ich lächle. Dies klingt vielleicht belanglos, ist jedoch gerade in der Pflege eine wichtige zwischenmenschliche Geste. Ausserdem wird darauf geachtet, dass man so wenig wie möglich zu den Betroffenen ins Zimmer geht, um Material zu sparen und für den Eigenschutz. Diese Gegebenheiten beeinträchtigen den Beziehungsaufbau zu den Patient*innen, obwohl dieser genau in der momentanen Situation sehr wichtig wäre. Denn viele Patientinnen und Patienten leiden neben den somatischen Problemen auch an grosser Angst.

Im Moment bekommt die Pflege von der Gesellschaft und den Medien sehr viel Anerkennung und Dankbarkeit. Endlich wird breit über die Arbeitsbedingungen, den Lohn und den Personalmangel gesprochen. Dies freut mich, finde es jedoch auch beklemmend, dass dafür eine Pandemie nötig ist. Die schöne Geste des Klatschens hoffe ich als Zeichen sehen zu können, dass endlich längst überfällige Veränderungen realisiert werden.
Ich bin froh, dass nun die Gesellschaft dazu gezwungen wird, meinen Alltag wahrzunehmen und vielleicht sogar anfängt, deren Wert zu schätzen. Es fällt jetzt das Licht auf mich und meine Mitarbeiter*innen, doch was wir nun sehen, sind keine neuen Probleme. Mein Beruf wird in der Gesellschaft oftmals fern von der Realität abgebildet und wahrgenommen. Mein Alltag besteht nicht daraus, Zahlen für die Krankenkasse zu generieren oder mich für meine Patient*innen aufzuopfern. Meinen Alltag habe ich gewählt, um in das Leben meiner Patient*innen Einblick und bestenfalls sogar guten Einfluss zu bekommen. Dies ist keine Belastung, sondern eine Bereicherung. Auch will ich in der Krise nicht als Heldin gesehen werden. Mein Anliegen und meine Hoffnung bestehen darin, dass sich das Bild der Pflege in der Gesellschaft verändert.
Deshalb sollten solche Arbeitsbedingungen für Pflegende geschaffen werden, die nicht nur tragbar sind, sondern auch die langfristige Arbeit ermöglichen, denn mit den aktuellen Rahmenbedingungen wollen laut einer Umfrage der Unia 47% der befragten Pflegenden nicht bis zur Pensionierung in ihrem Beruf tätig bleiben. Der Betreuungsschlüssel muss erhöht werden, denn des Personalmangels wegen wird die patientenorientierte Pflege zunehmend verunmöglicht. Bereits jetzt decken die Ausbildungsplätze den Bedarf an diplomiertem Pflegepersonal nicht. Laut der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und – direktoren (GDK) und der OdA Santé, der Nationalen Dach-Organisation der Arbeitswelt Gesundheit, werden im Jahre 2030 sogar 65‘000Pflegende fehlen.

Die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens führt weg vom sozialen Aspekt des Umgangs mit Patient*innen.

Die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens führt weg vom sozialen Aspekt des Umgangs mit Patient*innen. Der Pflege sollte auch vereinfacht werden, damit sie sich den Bedürfnissen der Patientinnen ganzeinheitlich widmen kann. Um dies zu erreichen, muss der Beruf
attraktiver werden. Dafür braucht es bessere Löhne, welche der Verantwortung und dem Wert der Arbeit gerecht werden. Zusätzlich muss noch aktiver gegen den Personalmangel vorgegangen werden. Denn fast jede und jeder wird früher oder später mal auf Pflege angewiesen sein.